"Jobvermittlung läuft meist über persönliche Kontakte"

Gemäss Bund sollen bis Ende Jahr 40 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine im Schweizer Arbeitsmarkt integriert sein. In Kreuzlingen ist die Quote knapp erreicht.
12. Juni 2024
Seit über zwei Jahren dauert der Krieg in der Ukraine bereits an. Ebenso lange werden Geflüchtete in Kreuzlingen unter der Leitung von Iris Lagrange, Koordinatorin bei den Sozialen Diensten, betreut. Aktuell leben 133 Frauen und 80 Männer im Alter zwischen drei Monaten und 87 Jahren in Kreuzlingen.

Während in der ersten Phase die Unterbringung von Geflüchteten im Fokus stand, folgt nun die Integration in den Arbeitsmarkt. "Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden, aber sehen noch Potenzial", bringt es Stadtrat Markus Brüllmann auf den Punkt. Der Bund erwarte, dass sich Personen im erwerbsfähigen Alter in den Arbeitsmarkt integrieren, erklärt der Vorsteher des Departements Soziales. "Grundsätzlich entspricht dies der Handlungsmaxime, die Kreuzlingen seit Beginn der Krise verfolgt", betont Mirco Bassetto, Leiter Soziale Dienste.

"Das grösste Hindernis, um im lokalen Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, ist die Befristung des Status S", erklärt Iris Lagrange. Trotz guten Ausbildungen und Deutschkenntnissen, gelingen erfolgreiche Arbeitsvermittlungen fast ausschliesslich durch persönliche Kontakte. Sei es durch die Mitarbeitenden der Sozialen Dienste oder eben Privatpersonen. Diesbezüglich hebt sie die Gastfamilien hervor. "Sie unterstützen die ukrainischen Stellensuchenden, indem sie ihre privaten oder beruflichen Netzwerke nutzen, was sich in manchen Fällen als sehr hilfreich erwiesen hat." Einige Personen konnten auch durch Personalagenturen eine Arbeit finden. Generell lässt sich jedoch feststellen: "Jobvermittlung läuft meist über persönliche Kontakte."

Die Vorteile einer Anstellung liegen auf der Hand. "Alle Personen mit Schutzstatus S erlangen durch eine Arbeitsanstellung grössere finanzielle Unabhängigkeit und können gleichzeitig ihre Berufskompetenz aufrechterhalten und erweitern. Zudem können sie bei der Rückkehr in ihre Heimat die in der Schweiz erworbenen Arbeitserfahrungen oder Qualifikationen nutzen", erklärt Markus Brüllmann die Vorteile für Arbeitnehmende. In Bezug auf die administrativen Hürden und zeitlichen Unplanbarkeit bleiben die Vorteile für Arbeitgeber im Ungleichgewicht. Insbesondere weil niemand weiss, wie lange der Krieg noch andauert. "Ein Selbstläufer ist die Stellenvermittlung also nicht", betont Brüllmann.

In Kreuzlingen unternehme man grosse Anstrengungen und fördere die Arbeitsmarktintegration von Personen mit Status S intensiv. "Und zwar unabhängig davon, ob die Personen längerfristig in der Schweiz bleiben oder in die Ukraine zurückkehren werden", ergänzt Mirco Bassetto. Personen, die längerfristig in der Schweiz leben wollen, sollen sich jedoch möglichst rasch und nachhaltig integrieren. "Sie müssen sich bemühen, Deutsch zu lernen, einer Arbeit nachzugehen und am sozialen Leben teilzunehmen", fasst Mirco Bassetto zusammen.

Vita Vereshchak ist 39 Jahre alt und flüchtete im März 2022 mit ihrem 14-jährigen Sohn Nazar in die Schweiz. Exakt seit zwei Jahren arbeitet sie im Wohn- und Pflegeheim Abendfrieden in Kreuzlingen. Sie und ihr Vorgesetzter schildern den Weg einer gelungen Arbeitsintegration.

Mike Moser
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Mike Moser
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"Seit Juni 2022 arbeitet Vita Vereshchak bei uns im Wohn- und Pflegeheim Abendfrieden in Kreuzlingen. In ihrer Heimat absolvierte sie eine Ausbildung zur Pflegefachfrau und konnte ein Diplom vorweisen. In ihrem Beruf hat sie jedoch nie gearbeitet, sodass wir an ihrer Fachkompetenz anknüpften und sie im praktischen Bereich kontinuierlich schulten. Unser gemeinsames Ziel ist die Anerkennung ihres Diploms in der Schweiz.

 Die Sprache war zu Beginn ein Handicap. Frau Vereshchak sprach und verstand bei ihrem Eintritt kaum Deutsch und konnte sich auch auf Englisch wenig verständigen. Sie besuchte drei Mal wöchentlich einen Deutschkurs, was dank der flexiblen Arbeitsplanung möglich war. Innerhalb von sechs Monaten haben sich ihre Kenntnisse auf ein gutes Niveau eingependelt.

 Mittlerweile ist Frau Vereshchak im Abendfrieden integriert und wird von Bewohnenden und Vorgesetzten gleichermassen geschätzt. Sie ist sehr motiviert, flexibel, immer aufgestellt und hat das Flair, mit Menschen umzugehen. Grundsätzlich könnten wir uns vorstellen, weitere Personen mit Schutzstatus S einzustellen. Dabei sind Erfahrungen oder Vorkenntnisse im Gesundheitswesen von Vorteil. Zudem setzen wir eine hohe Motivation und Integrationswille voraus."

Vita Vereshchak
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Vita Vereshchak
Vita Vereshchak

"Im März 2022 bin ich mit meinem 14-jährigen Sohn Nazar in die Schweiz geflohen. Als ich mit der Stellensuche begann, sprach ich kaum Deutsch. Doch ich wollte so rasch als möglich arbeiten. Nach meiner Schulausbildung in der Ukraine erhielt ich eine Ausbildung als Krankenschwester an der Bila Zerkwa Medical College in meiner Heimatstadt. Bis zur Flucht in die Schweiz habe ich jedoch nie auf meinem Fachgebiet gearbeitet.

 Meine Gastfamilie, Familie Leybold, bei der ich damals mit meinem Sohn lebte, half mir im Bewerbungsprozess und bei der Stellensuche. Obwohl ich kaum Deutsch sprach und keine berufliche Erfahrung aufweisen konnte, erhielt ich die Stelle als Pflegehelferin im Abendfrieden. Das ist nun über zwei Jahre her. Zunächst möchte ich meine Arbeitskolleginnen und -kollegen erwähnen. Sie brachten mir viel Verständnis entgegen und unterstützen mich. Denn der Einstieg war für mich sehr schwierig. Ich war gestresst, weil ich alles richtig machen wollte. Dazu kamen die sprachlichen Hürden, die ich mittlerweile abgebaut habe. Heute empfinde ich grosse Dankbarkeit - gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen sowie dem Management des Abendfriedens. Sie haben mich unterstützt und in ihre Familie aufgenommen.

Dazu gehören auch die Bewohnerinnen und Bewohner im Abendfrieden. Sie bedanken sich, sind immer freundlich und haben ein Lächeln parat. Zudem schätze ich die Weiterbildungsmöglichkeiten. Sie helfen mir, mich fachlich zu verbessern. Erst letzten Monat besuchte ich die beiden Kurse "Hygiene" sowie "Kinästhetik in der Pflege".

Auch für meinen Sohn hat sich in den letzten beiden Jahren vieles verändert. In diesem Jahr beginnt seine Ausbildung als Schreiner. Ich wiederum arbeite hier, knüpfe neue Bekanntschaften, verbessere meine Sprache. Aus dieser Sicht sehe ich meine Zukunft definitiv in der Schweiz. Mein Herz ist jedoch immer noch zu Hause: dort, wo meine Eltern sind, wo meine schönsten Erinnerungen sind."

  • Task Force Ukraine

    Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 tauscht sich die "Task Force Ukraine" regelmässig aus. Die "Task Force Ukraine" berät sich auf strategischer Ebene mit den involvierten Departementen aus und setzt Massnahmen um. Unter der Leitung von Iris Lagrange, Koordinatorin bei den Sozialen Diensten der Stadt Kreuzlingen, werden seit Februar 2022 Geflüchtete in Kreuzlingen betreut. Zu ihren Aufgaben gehören die Koordination zwischen den Akteuren und die Beantwortung sämtlicher Fragen rund um das Flüchtlingswesen. Im Zentrum der Betreuung stand und steht auch die Unterbringung von Geflüchteten. Iris Langrange und ihr Team betreuen rund 200 Personen, vorwiegend Frauen und Kinder sowie ältere Menschen. Dabei spielte und spielt auch die Vermittlung zu Gastfamilien eine zentrale Rolle.

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